3:51:55 - stolli siegt beim Shanghai-Marathon
... über den eigenen Schweinehund. Für ein Plätzchen auf dem Treppchen reichte das zwar nicht, aber für Platz 968 von über 3.000 registrierten Marathon-Männern. Im Folgenden die wichtigsten Stationen der gestrigen Veranstaltung:
6.30 Uhr: stolline und ich treffen im dunklen Startbereich des Großereignisses ein. Erste übermotivierte Mitstreiter beginnen ihr Aufwärmprogramm auf der regennassen Strecke.
6.44 Uhr: Nach mehreren Mikrofonproben startet das dynamische Musikprogramm des Morgens. Über kräftige Boxen wird elektronische Musik eingespielt. Einiges erinnert an die Love-Parade, auch die knappen Laufkleider einiger Athleten bei gefühlten 6 Grad Außentemperatur.
6.52 Uhr: Unserer Fahrer hat den Wagen irgendwo im Getümmel geparkt und weicht mir fortan nicht mehr von der Seite. Das wird sich fast bis zum Ziel nicht mehr ändern. ;-)
7.01 Uhr: In der Warteschlange vor den öffentlichen Klos tauschen sich zwei Konkurrenten über ihre Erfahrungen mit dem "Great Wall"-Marathon und ihre Ambitionen für die Verbesserung ihrer persönlichen Bestzeit von 2:54 aus. Ich will erstmal nur in das grüne Toilettenhäuschen.
7.09 Uhr: Auf einem Podest unweit der Startmarkierung gibt ein professioneller Darsteller zu lauter Musik den Hampelmann: Öffentliches Aufwärmprogramm! Ob die Äthiopier in der ersten Reihe auch mitmachen?
7.13 Uhr: Der Weg in den Startblock führt durch etwa 10.000 auf den "Fun-Marathon" (4,5 Kilometer) wartende Freizeitläufer mit spitzen Knochen.
7.22 Uhr: Im dichtgedrängten Feld wartender Athleten profitiert man vom Aufwärmprogramm der benachbarten Läufer. Irgendwie sind auch Akteure ohne Startnummer in den Startbereich gelangt. Kandidaten mit Jeans und Lederschuhen sind besonders verdächtig.
7.30 Uhr: Ein Schuss fällt, das Volk jubelt. Der offensichtlich auch aus dem Ausland stammende Läufer neben mir fragt: "Was this the start? Or was it an execution??" Lachen, und warten darauf, dass es auch bei uns nun langsam losgeht.
7.34 Uhr: Die Umwelt setzt sich langsam in Bewegung. Ein letzter Blick zu stolline macht Mut. Das Läuferfeld wird zwischen den Banden Richtung Start gespült.
7.37 Uhr: Beim Überqueren der Startlinie setzt ein geschickter Druck mit dem rechten Zeigefinger die Stoppuhr des Pulsmessers an meinem Handgelenk in Gang. Zu diesem Zeitpunkt passiert der Führende vermutlich gerade die 2-Kilometer-Marke.
0,2 Kilometer: An schnelles Laufen ist noch nicht zu denken. Zu dicht gedrängt sind die Akteure auf der breiten Straße. Ab und an bietet sich mal eine Lücke, um ein oder zwei Positionen gut zu machen.
0,6 Kilometer: In der ersten Rechtskurve geht es drunter und drüber. Ortskundige Läufer suchen die Abkürzung durch den bepflanzten Vorgarten eines Bürohauses.
1,1 Kilometer: Bei der großen Anzahl an mitgeführten Bannern und Fahnen könnte man auch meinen, es handele sich um eine Demonstration. Aber wir sind ja in China.
1,5 Kilometer: Noch immer ist es eng. Eigenes Tempo kann man kaum laufen. Allerdings ist das Feld auch recht schnell unterwegs.
1,9 Kilometer: Chinesische Folkloregruppen sorgen in merkwürdigen Kostümen für ausgelassene Stimmung am Streckenrand.
2,2 Kilometer: "Caio, Caio"-Rufe aus dem Publikum peitschen die Läufer nach vorn. Das ist ja wie in Frankfurt, denke ich mir und wundere mich.
2,7 Kilometer: An den Außenseiten bieten sich nun Lücken zum Überholen. Manchmal bleibt man aber auch in einer Menschentraube kleben. Ein Japaner erkennt meine Ambitionen und schickt mich mit einem kräftigen Klapps auf meine rechte Schulter in die Lücke vor ihm.
3,1 Kilometer: Schwenkbare Kameras über der Strecke sorgen insbesondere bei asiatischen Mitläufern für spontane Begeisterungsschübe, Freudensprünge und hektische Winkeinlagen. "Komm' ich jetz' in Fernsehn?"
3,8 Kilometer: Vorsicht: Frauen mit geflochtenen Pferdeschwänzen sind zwar vor dem Überholen hübsch anzuschauen, auf gleicher Höhe wandelt sich der Haarschmuck aber zu einem rotierenden Morgenstern!
4,5 Kilometer: Der Zielbereich des "Fun-Marathon" ist nach etwa 26 Minuten passiert.
5,1 Kilometer: Unter den mitlaufenden Einheimischen setzt sich langsam die Erkenntnis durch, das 20 Meter zuvor die erste Verpflegungsstation war. Plötzlich laufen Menschen in alle Richtungen.
7,0 Kilometer: Zum ersten Mal ist eine Kilometermarke wirklich sichtbar. Ob es vorher schon welche gab?
8,9 Kilometer: Großstadtfeeling! Unmittelbar neben der zweispurigen Laufstrecke warten etliche Busse mit laufendem Motor. Die Raucher im Feld können Boden gut machen, alle anderen fallen zurück.
9,7 Kilometer: Gelegentlich verengt sich die Strecke auf eine Spur. Beim Einfädeln geht es drunter und drüber. Außer bunten Hütchen kommt aber niemand zu Fall.
10,2 Kilometer: Auch die zweite Verpflegungsstation lässt mich noch kalt. Ist schließlich ein Wettlauf, keine Gourmetreise!
11,4 Kilometer: Eine vermummte Frau auf einem Fahrrad motiviert die Laufgruppe an einer Steigung mit lautstarken Kommandos und der Ansage, dass dies die steilste Stelle des Wettbewerbs sei. Später wird sich herausstellen, dass sie womöglich das falsche Streckenprofil im Kopf hatte. Für den Moment tut es dennoch gut.
11,9 Kilometer: Beim Herauskramen der Pulsuhr am linken Arm zwischen Jacke und Handschuhen betätige ich versehentlich den Stopp-Knopf. Also muss der Zeitmesser neu gestartet werden - und fortan werden Zwischenzeiten im Kopf berechnet.
12,3 Kilometer: Ohje! Das gefürchtete linke Knie meldet sich zum ersten Mal. Sauber laufen, sonst kann man nichts tun.
13,8 Kilometer: Das hauseigene Verpflegungsteam ist da: Es gibt einen ordentlichen Schluck Gatorade und ein gutes Gefühl.
15,5 Kilometer: Die Wege der Halbmarathon- und Marathon-Läufer trennen sich. Zum ersten Mal kommt mir die Idee, dass ein Halbmarathon eigentlich auch eine tolle Sache ist. Zu spät.
16,2 Kilometer: Es geht tierisch bergauf, wir müssen über eine Autobahnbrücke. Die ersten gehen. Dank kräftiger Armarbeit kann ich mein Tempo halten. Runter rollt's. Und wir sind noch super in der Zeit!
16,9 Kilometer: Die Strecke führt etwa sieben Kilometer (gefühlt wie 18 Kilometer) nur gerade aus. Fast über die gesamte Distanz stauen sich die Autos, LKWs und Busse und blasen Schlechtes in Luft.
18,2 Kilometer: Immer wieder lautstark "Caio, caio!" von den Rängen. Ob das der chinesische Ausdruck für "Quäl Dich, Du Sau!" ist?
18,8 Kilometer: Erster Kontakt mit einer Verpflegungsstation. Das zuckersüße Getränk unbekannter Bauart tut gut.
20,0 Kilometer: Fast Halbzeit.
21,1 Kilometer: Halbzeit.
21,4 Kilometer: Ein langer Mann wird zu meinem Referenzläufer bestimmt. Ich habe das Gefühl, dass er das richtige Tempo läuft. So lange ich ihn sehen kann, sollte alles in Ordnung sein.
23,9 Kilometer: Die Zahl der Athleten, die mich überholen, steigt. Aber der Refenzmann ist noch zu sehen! Ich versuche etwas aufzuschließen.
26,0 Kilometer: Mitten im Nichts! 26 Kilometer sind nicht viel, noch 16 Kilometer sind nicht wenig. Außerdem ist der Referenzmann weg.
26,7 Kilometer: Die Stadt ist hier hässlich, schmutzig, langweilig. Warum läuft man ausgerechnet diese verdammte Straße?
28,8 Kilometer: Das Versorgungsteam ist wieder da: Ein weiterer Schluck aus der Pulle, aufmunternde Worte. Erzengel Horst ist eine enorme Unterstützung!
30,2 Kilometer: Der ausgedünnte Pulk verlässt die Hauptstraße und läuft durch ein ruhiges Industriegebiet. Mein Rhythmus stimmt, auch wenn chinesische Folkloretrommler versuchen, diesen zu stören. Tanzt mal Samba, wenn sie Walzer spielen!
31,9 Kilometer: An das süße isotonische Getränk der Organisatoren kann man sich gewöhnen.
32,2 Kilometer: Nicht einmal mehr 10 Kilometer. Das macht Mut, auch wenn die Beine schlapp sind.
32,6 Kilometer: Das Verpflegungsteam mit dem schwarzen Santana ist wieder an der Strecke. Trotz Widerstand muss ich eine halbe Banane essen. Ich höre ein aufmunterndes "Jetzt hast Du gleich die 35!", bevor ich Minuten später die 34 Kilometer-Marke sehe. Immer dieselben Tricks!
33,1 Kilometer: Es geht wieder unendlich lang gerade aus. Diesmal auf einer der Hochstraßen, dem innerstädtischen Autbahnnetz von Shanghai. Ein bis zwei Spuren sind für Autos gesperrt. Fiese Anstiege und Gefälle im Wechsel.
35,6 Kilometer: Die Schallschutzwand der Hochstraße bietet Windschutz - und für einige Mitstreiter die Möglichkeit, die verkrampften Beine hochzulegen. Die Zahl der Geher und der Läufer ist etwa gleich hoch, ich trabe mit. Ich weiß, dass ich Zeit verliere, aber im Moment geht einfach nicht mehr.
37,1 Kilometer: Mein Team ist wieder am Streckenrand - vorher hatten sie mich schon auf der Hochstraße überholt. Tausche durchgeschwitzte Jacke gegen eine Flasche Gatorade.
37,4 Kilometer: Am Streckenrand wird in kleinen Schnapsbechern eine grüne Flüssigkeit ausgeschenkt. Ich lehne dankend ab. Wer weiß, was das wieder ist...
37,6 Kilometer: Originelles Streckenstück: Auf der einen Straßenseite geht es lange hin, auf der anderen Seite lange zurück. Die Aussicht, abzukürzen, ist verlockend. Aber die Streckenposten sind wachsam.
38,8 Kilometer: Auf dem Rückweg sieht man diejenigen, die hinter einem laufen. Das macht irgendwie Mut. Außerdem ist mein langer Referenzmann wieder am Horizont zu erkennen!
39,2 Kilometer: Nur noch drei Kilometer und so etwas wie Endspurt-Feeling. Plötzlich habe ich wieder Saft in den Beinen.
39,7 Kilometer: Mich beschäftigt die Frage, ob man damals nach der gewonnenen Schlacht von Marathon nicht auch einen kürzeren Weg von Marathon nach Athen hätte laufen können.
39,9 Kilometer: Ein eher analytischer Typ am Straßenrand weiß es ganz genau: "Come on! 4 hours if you push it!" Das ist cool! Da ich aber ohnehin etwa sieben Minuten nach Beginn der Zeitmessung gestartet war, sollten die vier Stunden auch so drin sein. :-)
40,4 Kilometer: Es läuft wie auf den ersten Metern. Der Referenzmann ist eingefangen.
40,9 Kilometer: Letzte Steigung, da bin ich immer gut. In meinem Umfeld bin ich jetzt einer der schnelleren, kann viele Positionen gut machen.
41,2 Kilometer: Von weitem sieht man das Ziel am Ende der Straße.
42,0 Kilometer: Das was wie das Ziel am Ende der Straße aussah, ist nicht das Ziel. Es geht noch mal um die Ecke. Noch zweihundert Meter. Das ist nichts. Es sind viele Leute am Streckenrand, aber ich bemerke sie nicht.
42,1 Kilometer: Endspurt, offenbar ist noch Energie da. Ja, jetzt wirkt die halbe Banane!
42,15 Kilometer: Schnell auf den letzten Metern Richtung Ziel. Ein asiatischer Läufer hinter mir stößt einen tiefen Schrei aus und drückt mich so ins Ziel. Die große Anzeige mit der Bruttozeit zeigt 3:58 und ein bisschen.
42,195 Kilometer: Fertig.
42,225 Kilometer: Ich bekomme eine Medaille und ein Handtuch geschenkt.
42,260 Kilometer: Ich bekomme eine Plastiktüte mit einem Getränk, einem Energieriegel, einer Mandarine und einigen Werbebeilagen. Eine Flasche Olivenöl ist auch drin. Wie praktisch. Prost.
Das war's dann auch. Ich war natürlich ziemlich froh, am Ziel angekommen zu sein. Der Begeisterung im Ziel stand nach einigen Augenblicken ein leichtes körperliches Unbehagen gegenüber: Ich hatte Durst, mir war tierisch kalt, außerdem war es in dem Gedränge schwierig, meinen Schatz und die anderen wieder zu finden, die wärmende Klamotten mitführten. Aber wir haben uns schließlich gefunden, und nach den anschließenden Formalitäten mit Rückgabe der Startnummer, Ausgabe der Urkunde, Rückgabe des Zeitmesschips und so weiter ging's endlich ins warme Auto, das natürlich direkt vor dem Eingang der Anlage wartete. Für das nächste Jahr besorgen wir uns Sponsorenaufkleber!
Seit gestern Mittag schmerzt nun mein Knie beim Beugen und Strecken und ansonsten bin ich etwas müder als sonst. Darüber hinaus gibt's aber Gott sei Dank nichts zu beklagen. Zwischen Kilometer 24 und 36 war ich relativ sicher, nie wieder einen Marathon zu laufen. Inzwischen würde ich es nicht mehr kategorisch ausschließen. Wer macht mit?
6.30 Uhr: stolline und ich treffen im dunklen Startbereich des Großereignisses ein. Erste übermotivierte Mitstreiter beginnen ihr Aufwärmprogramm auf der regennassen Strecke.
6.44 Uhr: Nach mehreren Mikrofonproben startet das dynamische Musikprogramm des Morgens. Über kräftige Boxen wird elektronische Musik eingespielt. Einiges erinnert an die Love-Parade, auch die knappen Laufkleider einiger Athleten bei gefühlten 6 Grad Außentemperatur.
6.52 Uhr: Unserer Fahrer hat den Wagen irgendwo im Getümmel geparkt und weicht mir fortan nicht mehr von der Seite. Das wird sich fast bis zum Ziel nicht mehr ändern. ;-)
7.01 Uhr: In der Warteschlange vor den öffentlichen Klos tauschen sich zwei Konkurrenten über ihre Erfahrungen mit dem "Great Wall"-Marathon und ihre Ambitionen für die Verbesserung ihrer persönlichen Bestzeit von 2:54 aus. Ich will erstmal nur in das grüne Toilettenhäuschen.
7.09 Uhr: Auf einem Podest unweit der Startmarkierung gibt ein professioneller Darsteller zu lauter Musik den Hampelmann: Öffentliches Aufwärmprogramm! Ob die Äthiopier in der ersten Reihe auch mitmachen?
7.13 Uhr: Der Weg in den Startblock führt durch etwa 10.000 auf den "Fun-Marathon" (4,5 Kilometer) wartende Freizeitläufer mit spitzen Knochen.
7.22 Uhr: Im dichtgedrängten Feld wartender Athleten profitiert man vom Aufwärmprogramm der benachbarten Läufer. Irgendwie sind auch Akteure ohne Startnummer in den Startbereich gelangt. Kandidaten mit Jeans und Lederschuhen sind besonders verdächtig.
7.30 Uhr: Ein Schuss fällt, das Volk jubelt. Der offensichtlich auch aus dem Ausland stammende Läufer neben mir fragt: "Was this the start? Or was it an execution??" Lachen, und warten darauf, dass es auch bei uns nun langsam losgeht.
7.34 Uhr: Die Umwelt setzt sich langsam in Bewegung. Ein letzter Blick zu stolline macht Mut. Das Läuferfeld wird zwischen den Banden Richtung Start gespült.
7.37 Uhr: Beim Überqueren der Startlinie setzt ein geschickter Druck mit dem rechten Zeigefinger die Stoppuhr des Pulsmessers an meinem Handgelenk in Gang. Zu diesem Zeitpunkt passiert der Führende vermutlich gerade die 2-Kilometer-Marke.
0,2 Kilometer: An schnelles Laufen ist noch nicht zu denken. Zu dicht gedrängt sind die Akteure auf der breiten Straße. Ab und an bietet sich mal eine Lücke, um ein oder zwei Positionen gut zu machen.
0,6 Kilometer: In der ersten Rechtskurve geht es drunter und drüber. Ortskundige Läufer suchen die Abkürzung durch den bepflanzten Vorgarten eines Bürohauses.
1,1 Kilometer: Bei der großen Anzahl an mitgeführten Bannern und Fahnen könnte man auch meinen, es handele sich um eine Demonstration. Aber wir sind ja in China.
1,5 Kilometer: Noch immer ist es eng. Eigenes Tempo kann man kaum laufen. Allerdings ist das Feld auch recht schnell unterwegs.
1,9 Kilometer: Chinesische Folkloregruppen sorgen in merkwürdigen Kostümen für ausgelassene Stimmung am Streckenrand.
2,2 Kilometer: "Caio, Caio"-Rufe aus dem Publikum peitschen die Läufer nach vorn. Das ist ja wie in Frankfurt, denke ich mir und wundere mich.
2,7 Kilometer: An den Außenseiten bieten sich nun Lücken zum Überholen. Manchmal bleibt man aber auch in einer Menschentraube kleben. Ein Japaner erkennt meine Ambitionen und schickt mich mit einem kräftigen Klapps auf meine rechte Schulter in die Lücke vor ihm.
3,1 Kilometer: Schwenkbare Kameras über der Strecke sorgen insbesondere bei asiatischen Mitläufern für spontane Begeisterungsschübe, Freudensprünge und hektische Winkeinlagen. "Komm' ich jetz' in Fernsehn?"
3,8 Kilometer: Vorsicht: Frauen mit geflochtenen Pferdeschwänzen sind zwar vor dem Überholen hübsch anzuschauen, auf gleicher Höhe wandelt sich der Haarschmuck aber zu einem rotierenden Morgenstern!
4,5 Kilometer: Der Zielbereich des "Fun-Marathon" ist nach etwa 26 Minuten passiert.
5,1 Kilometer: Unter den mitlaufenden Einheimischen setzt sich langsam die Erkenntnis durch, das 20 Meter zuvor die erste Verpflegungsstation war. Plötzlich laufen Menschen in alle Richtungen.
7,0 Kilometer: Zum ersten Mal ist eine Kilometermarke wirklich sichtbar. Ob es vorher schon welche gab?
8,9 Kilometer: Großstadtfeeling! Unmittelbar neben der zweispurigen Laufstrecke warten etliche Busse mit laufendem Motor. Die Raucher im Feld können Boden gut machen, alle anderen fallen zurück.
9,7 Kilometer: Gelegentlich verengt sich die Strecke auf eine Spur. Beim Einfädeln geht es drunter und drüber. Außer bunten Hütchen kommt aber niemand zu Fall.
10,2 Kilometer: Auch die zweite Verpflegungsstation lässt mich noch kalt. Ist schließlich ein Wettlauf, keine Gourmetreise!
11,4 Kilometer: Eine vermummte Frau auf einem Fahrrad motiviert die Laufgruppe an einer Steigung mit lautstarken Kommandos und der Ansage, dass dies die steilste Stelle des Wettbewerbs sei. Später wird sich herausstellen, dass sie womöglich das falsche Streckenprofil im Kopf hatte. Für den Moment tut es dennoch gut.
11,9 Kilometer: Beim Herauskramen der Pulsuhr am linken Arm zwischen Jacke und Handschuhen betätige ich versehentlich den Stopp-Knopf. Also muss der Zeitmesser neu gestartet werden - und fortan werden Zwischenzeiten im Kopf berechnet.
12,3 Kilometer: Ohje! Das gefürchtete linke Knie meldet sich zum ersten Mal. Sauber laufen, sonst kann man nichts tun.
13,8 Kilometer: Das hauseigene Verpflegungsteam ist da: Es gibt einen ordentlichen Schluck Gatorade und ein gutes Gefühl.
15,5 Kilometer: Die Wege der Halbmarathon- und Marathon-Läufer trennen sich. Zum ersten Mal kommt mir die Idee, dass ein Halbmarathon eigentlich auch eine tolle Sache ist. Zu spät.
16,2 Kilometer: Es geht tierisch bergauf, wir müssen über eine Autobahnbrücke. Die ersten gehen. Dank kräftiger Armarbeit kann ich mein Tempo halten. Runter rollt's. Und wir sind noch super in der Zeit!
16,9 Kilometer: Die Strecke führt etwa sieben Kilometer (gefühlt wie 18 Kilometer) nur gerade aus. Fast über die gesamte Distanz stauen sich die Autos, LKWs und Busse und blasen Schlechtes in Luft.
18,2 Kilometer: Immer wieder lautstark "Caio, caio!" von den Rängen. Ob das der chinesische Ausdruck für "Quäl Dich, Du Sau!" ist?
18,8 Kilometer: Erster Kontakt mit einer Verpflegungsstation. Das zuckersüße Getränk unbekannter Bauart tut gut.
20,0 Kilometer: Fast Halbzeit.
21,1 Kilometer: Halbzeit.
21,4 Kilometer: Ein langer Mann wird zu meinem Referenzläufer bestimmt. Ich habe das Gefühl, dass er das richtige Tempo läuft. So lange ich ihn sehen kann, sollte alles in Ordnung sein.
23,9 Kilometer: Die Zahl der Athleten, die mich überholen, steigt. Aber der Refenzmann ist noch zu sehen! Ich versuche etwas aufzuschließen.
26,0 Kilometer: Mitten im Nichts! 26 Kilometer sind nicht viel, noch 16 Kilometer sind nicht wenig. Außerdem ist der Referenzmann weg.
26,7 Kilometer: Die Stadt ist hier hässlich, schmutzig, langweilig. Warum läuft man ausgerechnet diese verdammte Straße?
28,8 Kilometer: Das Versorgungsteam ist wieder da: Ein weiterer Schluck aus der Pulle, aufmunternde Worte. Erzengel Horst ist eine enorme Unterstützung!
30,2 Kilometer: Der ausgedünnte Pulk verlässt die Hauptstraße und läuft durch ein ruhiges Industriegebiet. Mein Rhythmus stimmt, auch wenn chinesische Folkloretrommler versuchen, diesen zu stören. Tanzt mal Samba, wenn sie Walzer spielen!
31,9 Kilometer: An das süße isotonische Getränk der Organisatoren kann man sich gewöhnen.
32,2 Kilometer: Nicht einmal mehr 10 Kilometer. Das macht Mut, auch wenn die Beine schlapp sind.
32,6 Kilometer: Das Verpflegungsteam mit dem schwarzen Santana ist wieder an der Strecke. Trotz Widerstand muss ich eine halbe Banane essen. Ich höre ein aufmunterndes "Jetzt hast Du gleich die 35!", bevor ich Minuten später die 34 Kilometer-Marke sehe. Immer dieselben Tricks!
33,1 Kilometer: Es geht wieder unendlich lang gerade aus. Diesmal auf einer der Hochstraßen, dem innerstädtischen Autbahnnetz von Shanghai. Ein bis zwei Spuren sind für Autos gesperrt. Fiese Anstiege und Gefälle im Wechsel.
35,6 Kilometer: Die Schallschutzwand der Hochstraße bietet Windschutz - und für einige Mitstreiter die Möglichkeit, die verkrampften Beine hochzulegen. Die Zahl der Geher und der Läufer ist etwa gleich hoch, ich trabe mit. Ich weiß, dass ich Zeit verliere, aber im Moment geht einfach nicht mehr.
37,1 Kilometer: Mein Team ist wieder am Streckenrand - vorher hatten sie mich schon auf der Hochstraße überholt. Tausche durchgeschwitzte Jacke gegen eine Flasche Gatorade.
37,4 Kilometer: Am Streckenrand wird in kleinen Schnapsbechern eine grüne Flüssigkeit ausgeschenkt. Ich lehne dankend ab. Wer weiß, was das wieder ist...
37,6 Kilometer: Originelles Streckenstück: Auf der einen Straßenseite geht es lange hin, auf der anderen Seite lange zurück. Die Aussicht, abzukürzen, ist verlockend. Aber die Streckenposten sind wachsam.
38,8 Kilometer: Auf dem Rückweg sieht man diejenigen, die hinter einem laufen. Das macht irgendwie Mut. Außerdem ist mein langer Referenzmann wieder am Horizont zu erkennen!
39,2 Kilometer: Nur noch drei Kilometer und so etwas wie Endspurt-Feeling. Plötzlich habe ich wieder Saft in den Beinen.
39,7 Kilometer: Mich beschäftigt die Frage, ob man damals nach der gewonnenen Schlacht von Marathon nicht auch einen kürzeren Weg von Marathon nach Athen hätte laufen können.
39,9 Kilometer: Ein eher analytischer Typ am Straßenrand weiß es ganz genau: "Come on! 4 hours if you push it!" Das ist cool! Da ich aber ohnehin etwa sieben Minuten nach Beginn der Zeitmessung gestartet war, sollten die vier Stunden auch so drin sein. :-)
40,4 Kilometer: Es läuft wie auf den ersten Metern. Der Referenzmann ist eingefangen.
40,9 Kilometer: Letzte Steigung, da bin ich immer gut. In meinem Umfeld bin ich jetzt einer der schnelleren, kann viele Positionen gut machen.
41,2 Kilometer: Von weitem sieht man das Ziel am Ende der Straße.
42,0 Kilometer: Das was wie das Ziel am Ende der Straße aussah, ist nicht das Ziel. Es geht noch mal um die Ecke. Noch zweihundert Meter. Das ist nichts. Es sind viele Leute am Streckenrand, aber ich bemerke sie nicht.
42,1 Kilometer: Endspurt, offenbar ist noch Energie da. Ja, jetzt wirkt die halbe Banane!
42,15 Kilometer: Schnell auf den letzten Metern Richtung Ziel. Ein asiatischer Läufer hinter mir stößt einen tiefen Schrei aus und drückt mich so ins Ziel. Die große Anzeige mit der Bruttozeit zeigt 3:58 und ein bisschen.
42,195 Kilometer: Fertig.
42,225 Kilometer: Ich bekomme eine Medaille und ein Handtuch geschenkt.
42,260 Kilometer: Ich bekomme eine Plastiktüte mit einem Getränk, einem Energieriegel, einer Mandarine und einigen Werbebeilagen. Eine Flasche Olivenöl ist auch drin. Wie praktisch. Prost.
Das war's dann auch. Ich war natürlich ziemlich froh, am Ziel angekommen zu sein. Der Begeisterung im Ziel stand nach einigen Augenblicken ein leichtes körperliches Unbehagen gegenüber: Ich hatte Durst, mir war tierisch kalt, außerdem war es in dem Gedränge schwierig, meinen Schatz und die anderen wieder zu finden, die wärmende Klamotten mitführten. Aber wir haben uns schließlich gefunden, und nach den anschließenden Formalitäten mit Rückgabe der Startnummer, Ausgabe der Urkunde, Rückgabe des Zeitmesschips und so weiter ging's endlich ins warme Auto, das natürlich direkt vor dem Eingang der Anlage wartete. Für das nächste Jahr besorgen wir uns Sponsorenaufkleber!
Seit gestern Mittag schmerzt nun mein Knie beim Beugen und Strecken und ansonsten bin ich etwas müder als sonst. Darüber hinaus gibt's aber Gott sei Dank nichts zu beklagen. Zwischen Kilometer 24 und 36 war ich relativ sicher, nie wieder einen Marathon zu laufen. Inzwischen würde ich es nicht mehr kategorisch ausschließen. Wer macht mit?
stolli - 30. Nov, 16:21